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Anna Pfundt – Im Zentrum Sprache

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Oder Damenwahlrecht? Oder doch ein allgemeines Wahlrecht? – Zum Wortgebrauch in der Diskussion um das Frauenwahlrecht um 1900</title> <link>https://sprache.hypotheses.org/542</link> <comments>https://sprache.hypotheses.org/542#respond</comments> <dc:creator><![CDATA[Anna Pfundt]]></dc:creator> <pubDate>Thu, 02 Nov 2017 10:34:25 +0000</pubDate> <category><![CDATA[Neuigkeiten]]></category> <guid isPermaLink="false">http://sprache.hypotheses.org/?p=542</guid> <description><![CDATA[Die Forderung nach der Gleichberechtigung von Mann und Frau hatte bereits in der Französischen Revolution von 1789 ihren ersten Anlauf genommen. Doch die Errungenschaften der Revolution wurden genauso schnell wieder zunichte gemacht, wie sie erreicht wurden. Es dauerte dann noch fast ein ganzes Jahrhundert, bis sich die erste Frauenbewegung zu formieren begann. Sie lässt sich zeitlich zwischen der Gründung des Deutschen Kaiserreichs und dem Beginn des Ersten Weltkrieg einordnen. Der folgende Beitrag stellt einige Schlüsselfiguren des Diskurses und deren Positionen vor und gibt einen &#8230; <a href="https://sprache.hypotheses.org/542" class="more-link"><span class="screen-reader-text">Frauenwahlrecht? Oder Damenwahlrecht? Oder doch ein allgemeines Wahlrecht? – Zum Wortgebrauch in der Diskussion um das Frauenwahlrecht um 1900</span> weiterlesen <span class="meta-nav">&#8594;</span></a>]]></description> <content:encoded><![CDATA[<p>Die Forderung nach der Gleichberechtigung von Mann und Frau hatte bereits in der Französischen Revolution von 1789 ihren ersten Anlauf genommen. Doch die Errungenschaften der Revolution wurden genauso schnell wieder zunichte gemacht, wie sie erreicht wurden. Es dauerte dann noch fast ein ganzes Jahrhundert, bis sich die erste Frauenbewegung zu formieren begann. Sie lässt sich zeitlich zwischen der Gründung des Deutschen Kaiserreichs und dem Beginn des Ersten Weltkrieg einordnen. Der folgende Beitrag stellt einige Schlüsselfiguren des Diskurses und deren Positionen vor und gibt einen Einblick in die laufenden Arbeiten am <a href="http://www.deutschestextarchiv.de/doku/textquellen#tdef">Online-Korpus „Texte der ersten Frauenbewegung“ (TdeF) im <em>Deutschen Textarchiv</em> (DTA)</a>. <span id="more-542"></span></p> <p>Zunächst waren vor allem Frauen aus den bürgerlichen Kreisen wie zum Beispiel Louise Otto-Peters, Auguste Schmidt und Helene Lange maßgeblich beteiligt. Louise Otto-Peters und Auguste Schmidt gründeten 1865 den „Allgemeinen Deutschen Frauenverein“ (ADF). Weitere Vereinsgründungen folgten, vor allem Ende der 1880er Jahre. Zu den ersten Forderungen der Frauenbewegung gehörte vor allem das Recht auf gleiche Bildung und Erwerbsmöglichkeiten. Die Bildung von Mädchen war nämlich der von Knaben nicht ebenbürtig. Als ideale Rolle für die bürgerliche Frau galt die der Ehefrau, Hausfrau und Mutter und auf diese wurde sie vorbereitet, während den Knaben der Zugang zu höherer Schulbildung und Studium offen stand. Später kamen auch Forderungen nach politischer Partizipation, nach dem Recht der Ehescheidung, nach der Stärkung der Rechte des unehelichen Kindes und Proteste gegen die staatliche Reglementierung der Prostitution hinzu. Die Frauen versuchten mit Petitionen und Unterschriftensammlungen sowie viel schriftlicher Propaganda ihre Forderungen in die Parlamente der Landesregierungen zu bringen.</p> <p>Neben der bürgerlichen Frauenbewegung, die sich Ende der 1890er Jahre in einen gemäßigten und einen radikalen Flügel teilte, bildete sich auch eine proletarische Frauenbewegung, die aber nicht durch eigene Vereine vertreten wurde, sondern vielmehr als Teil der Arbeiterbewegung auftrat und durch die Sozialdemokratische Partei mitgetragen wurde. Eine ihrer führenden Persönlichkeiten war Clara Zetkin. Nach ihrer Auffassung war der Grund für die Unterdrückung der Frauen im Kapitalismus zu suchen, der die Gesellschaft in Klassen spaltete. Den Kampf um die Gleichberechtigung der Frau sah Clara Zetkin nur als Teil des Kampfes gegen den Kapitalismus an.</p> <p><figure id="attachment_656" aria-describedby="caption-attachment-656" style="width: 201px" class="wp-caption alignleft"><a href="http://www.deutschestextarchiv.de/baeumer_rabiatheit_1906/1"><img loading="lazy" class="wp-image-656 size-medium" src="http://sprache.hypotheses.org/files/2017/11/baeumer_rabiatheit_1906_0001_1600px-201x300.jpg" alt="" width="201" height="300" srcset="https://f-origin.hypotheses.org/wp-content/blogs.dir/3653/files/2017/11/baeumer_rabiatheit_1906_0001_1600px-201x300.jpg 201w, https://f-origin.hypotheses.org/wp-content/blogs.dir/3653/files/2017/11/baeumer_rabiatheit_1906_0001_1600px-768x1146.jpg 768w, https://f-origin.hypotheses.org/wp-content/blogs.dir/3653/files/2017/11/baeumer_rabiatheit_1906_0001_1600px-335x500.jpg 335w, https://f-origin.hypotheses.org/wp-content/blogs.dir/3653/files/2017/11/baeumer_rabiatheit_1906_0001_1600px.jpg 1600w" sizes="(max-width: 201px) 100vw, 201px" /></a><figcaption id="caption-attachment-656" class="wp-caption-text">Abbildung 1: Titelseite der Zeitschrift „Die Frau“, Band 9, Jg. 13 (1906).<sup><a href="https://sprache.hypotheses.org/542#footnote_0_542" id="identifier_0_542" class="footnote-link footnote-identifier-link" title="Aus: B&auml;umer, Gertrud: Unreife Rabiatheit. In: Die Frau 9 (1906), S. 513-519. In: Deutsches Textarchiv &lt;http://www.deutschestextarchiv.de/baeumer_rabiatheit_1906/1&gt;, S. [513], abgerufen am 01.11.2017.">1</a></sup></figcaption></figure>Nicht zuletzt deshalb, weil die Petitionen an die Landesregierungen keinen politischen Erfolg einbrachten, begannen die Frauen sich für das Frauenwahlrecht einzusetzen. Sie wollten damit ihren Einfluss auf die Gesetzgebung geltend machen. Während es für den Reichstag ein allgemeines, gleiches, direktes und geheimes Wahlrecht gab, wurden die Landtage noch nach alten, regional unterschiedlichen Wahlsystemen gewählt, so z.B. nach dem Dreiklassenwahlrecht in Preußen. Dieses gab eine Einteilung der Wahlberechtigten nach Steuerleistung in drei Abteilungen vor.</p> <p>Aber es gab keine geeinigte Frauenbewegung mit einheitlichen Zielen und Taktiken. Der gemäßigte Flügel der bürgerlichen Frauenbewegung plädierte dafür, das Frauenwahlrecht erst etappenweise einzuführen, es sozusagen zuerst als Gemeindewahlrecht oder als ein an Bedingungen wie Besitz und Steuerleistung geknüpftes Wahlrecht zu erproben. Die Forderung nach einem Frauenwahlrecht war in diesen Kreisen nicht unumstritten, galt sie doch als radikal, unweiblich, als Eingriff in die männliche Sphäre… Von daher forderten die Frauen aus den gemäßigten Kreisen auch eher zögerlich das Wahlrecht, erst sollten Leistungen auf der kulturellen und sozialen Ebene erbracht werden und die Frauen sollten ihre „Reife“ unter Beweis stellen. Anders die Radikalen, sie forderten das allgemeine Frauenwahlrecht, ohne dass zuvor kulturelle Leistungen erbracht werden müssten. Die proletarische Frauenbewegung unter Clara Zetkin forderte nicht nur ein allgemeines Frauenwahlrecht, sondern das allgemeine, gleiche, direkte und geheime Wahlrecht für Männer und Frauen. Damit wollte sie dem männlichen Proletariat ebenfalls eine Stimme gegen den Kapitalismus geben.</p> <p>Das Frauenwahlrecht wurde zu einem kontrovers diskutierten Thema. Um ihre Forderungen in die Öffentlichkeit zu tragen und damit die öffentliche Meinung zu gewinnen, bedienten sich die Vertreterinnen und einige wenige männliche Vertreter der Frauenbewegung verschiedener Zeitschriften, Flugblätter und eigenständiger Schriften. Sowohl Vertreterinnen der bürgerlichen als auch der proletarischen Frauenbewegung verfassten Beiträge zur Thematik des Frauenwahlrechts. Nicht nur die Frauen, auch einige Männer nahmen Stellung zum Thema. Auch die Gegner des Frauenwahlrechts beteiligten sich an der Diskussion, teils mit eigenen Schriften, teils mit Aussagen und Zitaten, die von den VerfasserInnen in ihren Texten aufgegriffen wurden.</p> <p>Für den heutigen Leser ist es von Interesse, wie das politische Thema des Frauenwahlrechts damals im öffentlichen Diskurs behandelt wurde. Dabei spielt der Wortgebrauch der VerfasserInnen eine große Rolle. Durch die Verwendung von Wörtern, Metaphern und Wendungen werden Einstellungen und Sichtweisen vermittelt, Bewertungen abgegeben, Personen einer Gruppe zugeordnet, Dinge und Personen charakterisiert u.a. Die VerfasserInnen bedienen sich dabei nicht nur konventioneller lexikalischer Mittel, sondern auch kreativer Mittel wie etwa ungewöhnlicher Wortbildungen oder unkonventioneller Metaphern.</p> <p>Das folgende Zitat stammt aus <a href="http://www.deutschestextarchiv.de/zetkin_frauenwahlrecht2_1907">Clara Zetkins Schrift „Zur Frage des Frauenwahlrechts“ von 1907</a> und ist reich an Beispielen, die den Wortgebrauch zu diesem politischen Thema illustrieren:</p> <blockquote><p><span style="font-size: 14pt">Das Frauenstimmrecht wurde auch von den vereinzelten bürgerlichen Politikern schnöde im Stich gelassen, die in der Theorie für diese Forderung schwärmen und von den bürgerlichen Frauenrechtlerinnen als die verdienstvollsten und zuverlässigsten Vorkämpfer für die volle Gleichberechtigung der Geschlechter über den grünen Klee gefeiert werden. So der Ueberall-und-nirgends-Herr v. Gerlach. Er verbeugte sich zwar verbindlich lächelnd vor dem Prinzip des Frauenwahlrechts, schlachtete es aber skrupellos den „parteipolitischen“ Interessen des Freisinns. Auch er betonte, aus „Zweckmäßigkeitsgründen“ gegen die Forderung und ihretwegen gegen den ganzen sozialdemokratischen Antrag zu stimmen.<sup><a href="https://sprache.hypotheses.org/542#footnote_1_542" id="identifier_1_542" class="footnote-link footnote-identifier-link" title="Zetkin, Clara: Zur Frage des Frauenwahlrechts. Bearbeitet nach dem Referat auf der Konferenz sozialistischer Frauen zu Mannheim. Dazu drei Anh&auml;nge: [&hellip;]. Berlin, 1907, S. 18f. In: Deutsches Textarchiv &lt;http://www.deutschestextarchiv.de/zetkin_frauenwahlrecht2_1907/28&gt;, abgerufen am 01.11.2017.">2</a></sup></span></p></blockquote> <p>Zunächst lässt sich festhalten, dass die zentralen Ausdrücke dieses Zitates <em>Frauenstimmrecht</em>,<em> Frauenwahlrecht</em>,<em> Gleichberechtigung</em> sind. Mit ihnen thematisiert Clara Zetkin die Frage der politischen Teilhabe der Frau.</p> <p>Zum einen kritisiert Clara Zetkin in diesem Textabschnitt das Verhalten der bürgerlichen Politiker, einen unerwarteten Rückzieher in der Frage des Frauenwahlrechts gemacht zu haben, zum anderen die Einstellung der Vertreterinnen der bürgerlichen Frauenbewegung, die eben jene Politiker für verdienstvoll und zuverlässig halten. Nach ihrer Auffassung können sich die bürgerlichen Politiker nicht auf das Frauenwahlrecht festlegen, sie stellen sich immer nur ein bisschen auf die Seite der Forderung des Frauenwahlrechts, um dann einen Rückzieher zu machen. Für das übertriebene Verhalten der bürgerlichen Frauenrechtlerinnen bedient sich Clara Zetkin der abwertend gebrauchten Wendung <em>über den grünen Klee feiern. </em>Zur Charakterisierung des Verhaltens der bürgerlichen Politiker gebraucht sie die Wendung <em>im Stich lassen. </em>Beide Wendungen sind bereits im deutschen Sprachgebrauch etabliert. Auch die Adjektive wie <em>schnöde </em>und <em>skrupellos </em>sind abwertend auf die Vertreter der liberalen und freisinnigen Parteien bezogen, sie sind ebenfalls etabliert. Das metaphorisch gebrauchte <em>schlachten </em>stammt aus dem Bereich des Metzgerhandwerks und wird hier für die Opferung der Forderung nach dem Frauenwahlrecht zugunsten der liberalen und freisinnigen Parteiinteressen verwendet.</p> <p>Ein Beispiel für eine unkonventionelle Verwendung ist die Personenbezeichnung <em>Ueberall-und-nirgends-Herr v. Gerlach</em>. Clara Zetkin verwendet hierbei eine ad-hoc-Wortbildung, sie fügt die Adverbialphrase „ueberall und nirgends“ als Kompositionsglied an das Grundwort „Herr“, seinerseits ein Namensbestandteil. Eine ad-hoc-Verwendung ist auch das Kompositum <em>Zweckmäßigkeitsgründe. </em>Diese Wortbildung ist im deutschen Wortschatz nicht etabliert und wird von Clara Zetkin zur Bezeichnung von argumentativen Stellungen verwendet, die sich nach der Nützlichkeit in der jeweiligen Situation richten und dementsprechend oft ändern.</p> <figure id="attachment_659" aria-describedby="caption-attachment-659" style="width: 207px" class="wp-caption alignright"><a href="http://www.deutschestextarchiv.de/kirchhoff_frauenstimmrecht_1912/1"><img loading="lazy" class="wp-image-659 size-medium" src="http://sprache.hypotheses.org/files/2017/11/kirchhoff_frauenstimmrecht_1912_0001-207x300.jpg" alt="" width="207" height="300" srcset="https://f-origin.hypotheses.org/wp-content/blogs.dir/3653/files/2017/11/kirchhoff_frauenstimmrecht_1912_0001-207x300.jpg 207w, https://f-origin.hypotheses.org/wp-content/blogs.dir/3653/files/2017/11/kirchhoff_frauenstimmrecht_1912_0001-768x1115.jpg 768w, https://f-origin.hypotheses.org/wp-content/blogs.dir/3653/files/2017/11/kirchhoff_frauenstimmrecht_1912_0001-345x500.jpg 345w, https://f-origin.hypotheses.org/wp-content/blogs.dir/3653/files/2017/11/kirchhoff_frauenstimmrecht_1912_0001.jpg 800w" sizes="(max-width: 207px) 100vw, 207px" /></a><figcaption id="caption-attachment-659" class="wp-caption-text">Abbildung 2: Titelseite von Auguste Kirchhoffs 1912 erschienener Schrift zum Frauenstimmrecht.<sup><a href="https://sprache.hypotheses.org/542#footnote_2_542" id="identifier_2_542" class="footnote-link footnote-identifier-link" title="Kirchhoff, Auguste: Warum mu&szlig; der Deutsche Verband f&uuml;r Frauenstimmrecht sich allgemeinen, gleichen, geheimen und direkten Wahlrecht bekennen? Bremen, 1912. In: Deutsches Textarchiv &lt;http://www.deutschestextarchiv.de/kirchhoff_frauenstimmrecht_1912&gt;, abgerufen am 01.11.2017.">3</a></sup></figcaption></figure> <p>Das zweite Zitat ist einer Schrift entnommen, deren Verfasserin dem radikalen Flügel der bürgerlichen Frauenbewegung zuzuordnen ist. Es handelt sich um die Schrift von<a href="http://www.deutschestextarchiv.de/kirchhoff_frauenstimmrecht_1912"> Auguste Kirchhoff „Warum muß der Deutsche Verband für Frauenstimmrecht sich zum allgemeinen, gleichen, direkten und geheimen Wahlrecht bekennen?“ von 1912</a>. In dieser Schrift geht sie auf die Diskussion um §3 aus den Satzungen des Deutschen Verbandes ein. Dieser Artikel der Satzungen bekundet im ersten Absatz die Neutralität des Verbandes gegenüber anderen Parteien und Richtungen der Frauenbewegung und stellt zugleich im zweiten Absatz die Forderung nach einem allgemeinen, gleichen, direkten und geheimen Wahlrecht auf. Auguste Kirchhoff stellt sich gegen die Mehrheit der Diskussion, die durch die Forderung nach einem allgemeinen, gleichen, direkten und geheimen Wahlrecht das Neutralitätspostulat gefährdet sieht und das Bekenntnis zum allgemeinen, gleichen, direkten und geheimen Wahlrecht aus den Satzungen nehmen möchte. Auguste Kirchhoff schreibt:</p> <blockquote><p><span style="font-size: 14pt">Für den deutschen Reichstag, so nehme ich an, wird wohl keine in irgendeinem Stimmrechtsverband organisierte Frau ein anderes Wahlrecht als erstrebenswertes Ziel ansehen als das allgemeine, gleiche. […] Nun hat man es uns als Zeichen von Jnkonsequenz und Schwäche ausgelegt, wenn wir überhaupt ein beschränktes Wahlrecht nehmen würden, im Falle es uns geboten wird. Auf der andern Seite hat man behauptet, wir seien viel zu fanatisch, um es überhaupt anzunehmen. Zu beidem erkläre ich: Natürlich nehmen wir, was uns geboten wird, aber mit denselben sehr gemischten Gefühlen, mit denen man eine kleine Abschlagszahlung auf eine große Schuld annimmt.</span></p> <p><span style="font-size: 14pt"><span style="text-decoration: underline">Wir sind uns ganz klar darüber, daß eine solche Abschlagszahlung die Zahlung der Gesamtschuld unter Umständen in weite Ferne rückt. Die Forderung selbst aber dürfen wir nie auf Grund der Teilzahlung fallen lassen.</span> Denn was durch die Teilzahlung erreicht wird, ist kein Frauenstimmrecht, sondern ein <span style="text-decoration: underline">Damenwahlrecht</span>. Jst Frauenstimmrecht aber wirklich „eine Forderung der Gerechtigkeit“, wie wir&#8217;s so schön auf unsern Marken und Karten drucken, dann doch nur, wenn sich diese Forderung auf <span style="text-decoration: underline">alle</span> Frauen erstreckt, wenn wir Schulter an Schulter dastehen: „alle für eine, eine für alle“. Daß dies aber auf keinem andern Weg sicher zu erreichen ist als <span style="text-decoration: underline">auf dem des allgemeinen, direkten Wahlrechts, erhellt aus dem Gesagten</span>.<sup><a href="https://sprache.hypotheses.org/542#footnote_3_542" id="identifier_3_542" class="footnote-link footnote-identifier-link" title="Kirchhoff, Auguste: Warum mu&szlig; der Deutsche Verband f&uuml;r Frauenstimmrecht sich allgemeinen, gleichen, geheimen und direkten Wahlrecht bekennen? In: Deutsches Textarchiv &lt;http://www.deutschestextarchiv.de/kirchhoff_frauenstimmrecht_1912&gt;, abgerufen am 27.10.2017.">4</a></sup> </span></p></blockquote> <p>Neben einem allgemeinen Wahlrecht gibt es aber nur noch eine Wahlrechtsform, die nicht alle Frauen einschließt: Das beschränkte Wahlrecht ist an Bedingungen wie Besitz und Steuerleistung gebunden und würde die Frauen der ärmeren Bevölkerungsschichten ausschließen. Es würde nur den „Damen“ die Wahlberechtigung einbringen. Daher stellt Auguste Kirchhoff die zentralen Ausdrücke in diesem Textabschnitt jeweils in kontrastierender Verwendung gegenüber: <em>beschränktes Wahlrecht </em>vs. <em>allgemeines, gleiches, direktes Wahlrecht </em>und <em>Damenwahlrecht </em>vs. <em>Frauenstimmrecht.</em></p> <p>Zur Verdeutlichung der Problematik des beschränkten Wahlrechts im Verhältnis zum allgemeinen Wahlrecht bedient sich Auguste Kirchhoff der Metapher der Schuldabzahlung. Für das beschränkte Wahlrecht gebraucht sie die Ausdrücke <em>Abschlagszahlung </em>und <em>Teilzahlung, </em>für die Forderung des Frauenwahlrechts gebraucht sie die Metapher der <em>Gesamtschuld </em>bzw. <em>großen Schuld. </em>Sie sieht die Gefahr, dass durch eine Teilzahlung die Forderung der Gesamtschuld nicht mehr aufrechterhalten wird bzw. in zeitliche Ferne rückt, also die Forderung des beschränkten Wahlrechts die „Damen“ zufrieden stellt, so dass sie ggf. nicht mehr ein allgemeines Wahlrecht für alle anderen fordern wollen.</p> <p>Diese Beispiele zum Wortgebrauch in den Debatten zum Frauenwahlrecht um 1900 sollen zeigen, wie der Wortgebrauch zum einen von thematischen Erfordernissen geprägt ist, dass zum anderen spezifische Sichtweisen mit dem Gebrauch von einzelnen Wörtern verbunden sein können, dass der Wortgebrauch ein strategisch eingesetztes Mittel im Kampf um politische Forderungen sein kann, schließlich: dass neben etablierten lexikalischen Mitteln auch die kreative Verwendungen wie z.B. neue Wortbildungen oder metaphorische Nutzungen eine wichtige Rolle spielen in der Auseinandersetzung.</p> <p>Das im Aufbau befindliche Korpus „Texte der ersten Frauenbewegung“ (TdeF) im Deutschen Textarchiv (DTA) enthält deutschsprachige Texte, die in der Zeit der ersten Frauenbewegung von 1870 bis 1919 verfasst wurden. Thematisch ist das Korpus derzeit stärker an der Diskussion um das Frauenwahlrecht ausgerichtet. Da die Frauen 1919 das erste Mal ihr Wahlrecht ausüben durften, ist die zeitliche Einschränkung der Korpustexte auf die Jahre 1870 bis 1919 historisch klar bemessen. Im Korpus sind sowohl Zeitschriftenartikel wie auch eigenständige Schriften von kleineren Heftchen bis zu umfangreichen Büchern vertreten. Wie im DTA üblich, gibt es zu jedem Werk eine synoptische Darstellung mit einem durchsuchbaren Volltext, der neben dem Bilddigitalisat angezeigt wird. Metadaten dokumentieren Basisinformationen, Herkunft und Bearbeitungsgeschichte der Texte.</p> <p>Die Autorin dieser Zeilen arbeitet an der JLU Gießen an einem Promotionsprojekt zu den Debatten um das Frauenwahlrecht im Umkreis der ersten Frauenbewegung. Der Aufbau eines digitalen Textkorpus im Rahmen des DTA ist für beide Seiten eine Win-Win-Situation: Das DTA bekommt neue, gut kuratierte Texte, die Autorin kann die Texte mit der sehr mächtigen Suchmaschine des DTA viel besser nutzen als mit herkömmlichen digitalen Werkzeugen.</p> <p>Das Korpus und sein Wachstum werden auf den Seiten des Deutschen Textarchivs dokumentiert:</p> <p><a href="http://www.deutschestextarchiv.de/search/metadata?corpus=tdef">http://www.deutschestextarchiv.de/search/metadata?corpus=tdef</a></p> <p><a href="http://deutschestextarchiv.de/doku/textquellen#tdef">http://deutschestextarchiv.de/doku/textquellen#tdef</a></p> <p>Mit der Suchmaschine des DTA kann man die TdeF-Texte gesammelt ansprechen, indem man die Filter-Option für die Auswahl von Teilkorpora in der Suchanfrage nutzt. Eine ausführliche, mit Beispielen illustrierte <a href="http://www.deutschestextarchiv.de/doku/DDC-suche_hilfe">Hilfeseite zur Suche im DTA</a> erleichtert den Einstieg. Zum Beispiel kann man mit einer Anfrage wie der folgenden alle Belegstellen im TdeF-Korpus suchen, in denen die Zeichenfolge „wahlre“ vorkommt. Man findet auf diese Weise viele Komposita mit „Wahlrecht“:</p> <pre style="padding-left: 30px"><a href="http://www.deutschestextarchiv.de/search/ddc/search?fmt=html&amp;corpus=ready&amp;ctx=&amp;q=*wahlre*+%23has%5Bflags%2C%2Ftdef%2F%5D&amp;limit=10">*wahlre* #has[flags,/<strong>tdef/</strong>]</a></pre> <p>Oder Sie machen einen Vergleich der Wortbildungen mit „Wahlrecht“ und „Stimmrecht“, indem Sie jeweils mit Hilfe des <code>//</code>-Operators einen (durch die Verbindung mit <code>"i"</code> case-insensitiven) regulären Ausdruck formulieren:</p> <pre style="padding-left: 30px"><a href="http://www.deutschestextarchiv.de/search/ddc/search?fmt=html&amp;corpus=ready&amp;ctx=&amp;q=%2Fwahlre%2Fi+%23has%5Bflags%2C%2Ftdef%2F%5D&amp;limit=10">/wahlre/i #has[flags,/<strong>tdef/</strong>]</a></pre> <pre style="padding-left: 30px"><a href="http://www.deutschestextarchiv.de/search/ddc/search?fmt=html&amp;corpus=ready&amp;ctx=&amp;q=%2Fstimmre%2Fi+%23has%5Bflags%2C%2Ftdef%2F%5D&amp;limit=10">/stimmre/i #has[flags,/<strong>tdef/</strong>]</a></pre> <p>Machen Sie gerne Versuche mit anderen Ausdrücken und zu eigenen Fragestellungen.</p> <p>Ich werde im Lauf der Zeit über die Fortschritte berichten, auch über meine Untersuchungen und die Arbeit an einem digitalen Wörterbuch zum Wahlrechtsdiskurs im Umkreis der ersten Frauenbewegung.</p> <div class="wpcp"><em>Zitierempfehlung:</em> Anna Pfundt: „Frauenwahlrecht? Oder Damenwahlrecht? Oder doch ein allgemeines Wahlrecht? – Zum Wortgebrauch in der Diskussion um das Frauenwahlrecht um 1900.“ In: <em>Im Zentrum Sprache</em>, 2. November 2017, <a href="https://sprache.hypotheses.org/542">https://sprache.hypotheses.org/542</a> (Abgerufen am 19. Januar 2021).</div> <ol class="footnotes"><li id="footnote_0_542" class="footnote">Aus: Bäumer, Gertrud: Unreife Rabiatheit. In: Die Frau 9 (1906), S. 513-519. In: Deutsches Textarchiv &lt;<a href="http://www.deutschestextarchiv.de/baeumer_rabiatheit_1906/1">http://www.deutschestextarchiv.de/baeumer_rabiatheit_1906/1</a>&gt;, S. [513], abgerufen am 01.11.2017.</li><li id="footnote_1_542" class="footnote">Zetkin, Clara: Zur Frage des Frauenwahlrechts. Bearbeitet nach dem Referat auf der Konferenz sozialistischer Frauen zu Mannheim. Dazu drei Anhänge: [&#8230;]. Berlin, 1907, S. 18f. In: Deutsches Textarchiv &lt;<a href="http://www.deutschestextarchiv.de/zetkin_frauenwahlrecht2_1907/28">http://www.deutschestextarchiv.de/zetkin_frauenwahlrecht2_1907/28</a>&gt;, abgerufen am 01.11.2017.</li><li id="footnote_2_542" class="footnote">Kirchhoff, Auguste: Warum muß der Deutsche Verband für Frauenstimmrecht sich allgemeinen, gleichen, geheimen und direkten Wahlrecht bekennen? Bremen, 1912. In: Deutsches Textarchiv &lt;<a href="http://www.deutschestextarchiv.de/kirchhoff_frauenstimmrecht_1912">http://www.deutschestextarchiv.de/kirchhoff_frauenstimmrecht_1912</a>&gt;, abgerufen am 01.11.2017.</li><li id="footnote_3_542" class="footnote">Kirchhoff, Auguste: Warum muß der Deutsche Verband für Frauenstimmrecht sich allgemeinen, gleichen, geheimen und direkten Wahlrecht bekennen? In: Deutsches Textarchiv &lt;<a href="http://www.deutschestextarchiv.de/kirchhoff_frauenstimmrecht_1912">http://www.deutschestextarchiv.de/kirchhoff_frauenstimmrecht_1912</a>&gt;, abgerufen am 27.10.2017.</li></ol>]]></content:encoded> <wfw:commentRss>https://sprache.hypotheses.org/542/feed</wfw:commentRss> <slash:comments>0</slash:comments> </item> </channel> </rss>

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